Zwangsarbeit in „Schutzhaft“

Inhaftierte im Rundeturmgefängnis in Darmstadt mussten Zwangsarbeiten in der Haftanstalt leisten oder wurden für Arbeiten in „kriegsnotwendigen“ Betrieben bereitgestellt. Die jüdischen Schutzhäftlinge litten neben Schutzhaftbedingungen und Schikanen unter der Zwangsarbeit, wie körperlich harter Arbeit im Straßenbau oder vereinzelt dem Einsatz innerhalb der Haftanstalt.

 
Zwangsarbeit „Schutzhaft“

„Dort, wo Schutzhäftlinge eine kurze Schutzhaft, nicht K.Z., in grösserer Zahl verbüssen, empfiehlt es sich, diese in Arbeitskolonnen zu Aussenarbeiten wie Strassenbau, Landwirtschaft u.s.w. heranzuziehen. Ein Brachliegen der Arbeitskraft des Schutzhäftlings wird dadurch vermieden.“
Auszug aus einem Erlass des RSHA, zitiert in: HStAD G 24 1168/1, Bl. 19-21.

Täterdokumente

Um die Konsequenzen des Ermittlungsverfahrens gegen Friedrich Späth für die unter ihm leidenden Zwangsarbeiter aufzuzeigen, beschäftigten sich die Jugendlichen besonders mit drei Täterdokumenten; sprich: Quellen aus der NS-Zeit; sowie Zeugenaussagen, die sich in der Entschädigungsakten finden. Die Recherchen hierzu fanden im Staatsarchiv Darmstadt und Hauptstaatsarchiv Wiesbaden statt. 

Der „Nachweisung über […] Schutzhaftkosten“ konnten die Jugendlichen entnehmen, dass nicht nur der städtische Aufseher Friedrich Späth am 2. Juli 1940, sondern Mitte Juli auch die jüdischen Zwangsarbeiter in Schutzhaft genommen und im Gestapotrakt des Rundeturmgefängnisses in Darmstadt inhaftiert werden. Im Zusammenhang mit dem vom Reichssicherheitshauptamt (RSHA) ausgestellten Schutzhaftbefehl wird deutlich, wie den Erpressungsopfern vorsätzlich schuldhaftes Handeln unterstellt wird, wenn es heißt:

„Er gefährdet nach dem Ergebnis der staatspolizeilichen Feststellungen durch sein Verhalten den Bestand und die Sicherheit des Volkes und Staates, indem er dadurch dass er sich seines persönlichen Vorteils willen unerlaubte Beeinflussung des Aufsichtspersonals ihm nicht zustehende Arbeitserleichterungen zu verschaffen gesucht hat, Unruhe in die Reihen der übrigen Mitarbeiter hineinträgt und das Ansehen der Behörden untergräbt.“
Auszug aus der Abschrift des Schutzhaftbefehls, ausgestellt am 02. 09. 1940 gegen Ephraim /Fritz Schäfer, in:  HHStAW 520105 29045, Bl.12.

Tafel am ehemaligen Eingang des „Rundeturmgefängnisses“ Darmstadt (Foto 2020)
Ehemaliger Eingang der Justizvollzugsanstalt Darmstadt – Rundeturmstraße (Foto 2019)

Besondere Aufmerksamkeit widmeten die Jugendlichen einem Schreiben an den Generalstaatsanwalt im Oktober 1940. Es konkretisiert die Schutzhaftbedingungen und lässt auf Konkurrenz zwischen Justizvollzug und Gestapo vor Ort schließen. So ist der Quelle zu entnehmen, dass der Nordbau des Gefängnisses in der Rundeturmstraße spätestens seit Februar 1939 als Gestapogefängnis mit eigenem Personal fungiert. Aussagen wie, dass die Schutzhäftlinge nur „hie und da von der Geheimen Staatspolizei beschäftigt“ würden, im „grossen und ganzen […] untätig“ seien, während die „Aussenarbeiterkommandos in wehrwichtigen Betrieben“ zunähmen und der „Bedarf hierzu nicht voll“ aus dem eigenen „Gefangenbestand“ gedeckt werden könne, spiegeln die polykratischen Machtstrukturen der NS-Staates auch in den regionalen Herrschaftsgefügen wider. Somit herrscht zwar Einigkeit über die Ausbeutung der sog. „Schutzhäftlinge“ und sie werden ab Anfang Oktober in den „Aussenkommandos miteingesetzt“. Aber die Meinungen zur „Arbeitsbelohnung“ [sic!] divergieren zwischen Gestapo und Gefängnisvorstand, der dem Generalstaatsanwalt seine Sichtweise folgendermaßen vorlegt: Dass die Gestapo eine „Vergütung“ verneine, führe zu statistischen Problemen bei der „Jahresaufstellung der Arbeitsverwaltung über Einsatz und Entlohnung der Gefangenen.“ (Zitate aus: HStAD G 24 1168/1, Bl. 19-21)

Den Konfliktgehalt der Anfrage diskutierten die Jugendlichen anhand des Verweises auf „wehrpflichtig[e] Betriebe“ sowie der Weitergabe des Schreibens an das Reichsministerium für Justiz seitens des Generalstaatsanwalts. Die Antwort aus Berlin: Es gebe keine Bedenken, dass „von der Gutschrift von Arbeitsbelohnungen für die Schutzhäftlinge abgesehen“ werde. Dem Schreiben ist außerdem folgender Auszug aus einem Erlass des RSHA zu entnehmen: „Dort, wo Schutzhäftlinge eine kurze Schutzhaft, nicht K.Z., in grösserer Zahl verbüssen, empfiehlt es sich, diese in Arbeitskolonnen zu Aussenarbeiten wie Strassenbau, Landwirtschaft u.s.w. heranzuziehen. Ein Brachliegen der Arbeitskraft des Schutzhäftlings wird dadurch vermieden.“ Damit demonstriert das Schreiben die gewollte und systematische Ausbeutung der sog. „Schutzhäftlinge“ und den Gedanken der Vernichtung durch Arbeit in einem Verwaltungsvorgang vor Ort.

Nördlicher Teil des ehemaligen Rundeturmgefängnisses Darmstadt – Blickrichtung Hiroshima-Nagasaki-Platz (Foto 2020)

Nördlicher Teil des ehemaligen Rundeturmgefängnisses Darmstadt – Blickrichtung Merckstraße (Foto 2020)

Zeugenschaften

„Am 19. Juli 1940 wurde mein Mann mit all seinen Arbeitskameraden zur Gestapo bestellt und kam nicht wieder nach Hause. Man lieferte sie ins Gefängnis ein, sie durften sich nie rasieren und die Haare schneiden lassen und wurden so zum Arbeitseinsatz durch die Stadt geführt.“
Gretel Mayer.

Zeitzeugen belegen, dass die Zwangsarbeiten in Schutzhaft auch stattfanden: Siegfried Gans wird in der Schlosserei der Haftanstalt als Spengler verpflichtet, Samuel Mainzer wird bei Straßenbauarbeiten in der unteren Rheinstraße – und zwar kurz nach der Verhaftung – gesehen. Eine zusätzliche Demütigung erfolgt, als sich die Männer „nicht rasieren und die Haare schneiden lassen“ dürfen und „so zum Arbeitseinsatz durch die Stadt geführt“ werden, wie Gretel Mayer bezeugt. Für Samuel Mainzer führen die Bedingungen der Schutzhaft und mit Sicherheit auch die Erfahrungen aus dem Jahr 1938, als er als sog. „Aktionsjude“ im Anschluss an die Novemberpogrome ins KZ Buchenwald verschleppt wird, am 20. September zu seinem Suizid. Somit gelang den Jugendlichen anhand weniger Quellen EinBlick in die Situation, die die jüdischen Männer zwischen Haftbeginn und Deportation erleiden müssen.

Quellen [u.a.]:
HStAD G 24 Nr.1278, Bl. 126ff
HStAD G 24  1168/1, Bl. 19-21.
HHStAW 520/05 29045
Zeitzeugen/ Zitate:
Heinrich Koch, Bescheinigung des Arbeitseinsatzes von Siegfried Gans, (14.11.1949), HHStAW 518 44317, Bl. 128.

Jakob Lautenschläger, Zeugenaussage (25. Juli 1962), HHStAW 518 23751, Bl. 186.
Gretel Mayer, Zeugenaussage, HHStAW 518 2390, Bl. 33.


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