Josef Mayer

„Wir betrieben eifrig die Auswanderung nach Amerika. […] Am 1.11.39 erhielten wir in Berlin das Visum hierzu ebenso Schiffsplätze durch die Hapag für den 30.11.39. Durch den inzwischen ausgebrochenen Krieg konnten wir die Ausreise nicht antreten. Nun wurde die Kette der unvorstellbaren Leiden und Demütigungen verstärkt fortgesetzt.“
Gretel Mayer

Zwangsarbeit und Terror in Darmstadt

Im Februar 1940 bestellte das städtische Tiefbauamt über 30 jüdische Männer ein, um Straßen von Schnee zu reinigen. Betroffen von dieser Zwangsarbeit war auch Josef Mayer. Aber auch andere Zwangsarbeiten mussten geleistet werden: Die Männer mussten z.B. Straßen reinigen, einen steinigen Acker in einen Kartoffelacker umwandeln, in Bessungen Wald roden für die Verlängerung der Landskronstraße oder am Kranichsteiner Bahnhof Kohle ausladen. Während dieser ohnehin schon harten und entwürdigenden Tätigkeiten erpresste und schikanierte der städtische Angestellte und „Aufseher“ Friedrich Späth die Zwangsarbeiter zusätzlich. Nachdem deswegen ein Ermittlungsverfahren eingeleitet wurde und Friedrich Späth Anfang Juli 1940 verhaftet wurde, wurden Mitte Juli 1940 auch Josef Mayer und die anderen Zwangsarbeiter zur Gestapo bestellt und in Schutzhaft genommen. Sie wurden im Gestapotrakt des Gefängnisses in der Rundeturmstraße in Darmstadt inhaftiert. Auch nach ihrer Verhaftung wurden die Männer zur Zwangsarbeit, diesmal in Schutzhaft, gezwungen. Gretel Mayer, die Ehefrau von Josef Mayer, erinnert sich: „[S]ie durften sich nicht rasieren und die Haare schneiden lassen und wurden so zum Arbeiteinsatz durch die Stadt geführt.“ 

Ein Podcast wird hier bald EinBlicke in das Schicksal von Josef Mayer und seinen Angehörigen geben. Die Priorität liegt auf den Konsequenzen der NS-Entrechtungs- und Vernichtungspolitik für die den Opfern Nahestehenden, soweit dies den Dokumenten zu entnehmen ist. Nicht Tätern, sondern Verfolgten und ihren Angehörigen soll erinnert und Raum zur Öffentlichkeit gegeben werden – so auch dem Darmstädter Josef Mayer und seinen Angehörigen. 

Individuelle Dokumente KZ Buchenwald 1.1.5.3./6597557, ITS Digital Archive, Arolsen Archives.

Solange sich der Podcast noch im Arbeitsprozess befindet, geben die folgenden Zitate vorab einen Einblick in die Recherchen. Sie wurden Archivalien des Hauptstaatsarchivs Wiesbaden entnommen, um an das Schicksal der Familie Josef Mayer zu erinnern und zeigen, dass die Vernichtung durch Arbeit in Darmstadt beginnt.

Gretel Mayer, die Ehefrau von Josef Mayer, überlebte. Sie wird nach 1945 eine der wichtigen Zeitzeug*innen, die sich für die Aufklärung der NS-Verbrechen in Darmstadt einsetzen und in Prozessen gegen Täter aussagen. Ihre Aussagen und die weiterer Zeugen aus den Spruchkammerverfahren gegen Friedrich Späth und der Entschädigungsakte sprechen für sich.

Die Täterdokumente aus dem KZ Buchenwald wie dieser Häftlingspersonalbogen zeigen, dass Josef Mayer in die Konzentrationslager Dachau, Buchenwald und Sachsenhausen verschleppt wurde, bevor er im Vernichtungs- und Konzentrationslager Auschwitz ermordet wurde. Aber auch Informationen zu NS-Unrecht in Darmstadt ist der Karte zu entnehmen, da auf ihr notiert ist, dass er den Zwangsnamen einmal nicht eingetragen hatte. Was dies bedeutet, darüber gibt seine Ehefrau Gretel Mayer nach 1945 Auskunft und kann auch erklären, warum als Schutzhaftgrund „wurde erpresst ohne Anzeige zu erstatten“ eingetragen wurde.

Gretel Mayer schildert, dass und wie sich der NS-Terror im Herbst 1939 in Darmstadt verschärfte – auch aufgrund individuellem Täterhandeln:

„Wir betrieben eifrig die Auswanderung nach Amerika. […] Am 1.11.39 erhielten wir in Berlin das Visum hierzu ebenso Schiffsplätze durch die Hapg für den 30.11.39. Durch den inzwischen ausgebrochenen Krieg konnten wir die Ausreise nicht antreten. Nun wurde die Kette der unvorstellbaren Leiden und Demütigungen verstärkt fortgesetzt. Wir mussten verschiedene Haussuchungen über uns ergehen lassen, welche unter nichtigen Vorwänden vorgenommen wurden. Bei einer Kontrolle der Lebensmittelkarten wurde festgestellt, dass ich es versäumt hatte, für meinen Mann den Namen Israel anzugeben und wurden wir [sic!] aus diesem Grund mit einer Geldstrafe belegt mit dem Bemerken, dass wir froh sein können, dass uns nichts Schlimmeres passiere.“

“Am 19.7.1940 wurde nun mein Mann mit all seinen Arbeitskameraden zur Gestapo bestellt und kam nicht wieder nach Hause. Man lieferte sie ins Gefängnis ein. Sie durften sich nie rasieren und die Haare schneiden lassen und wurden so zum Arbeitseinsatz durch die Stadt geführt.”

„Während der Haftzeit in Darmstadt durfte ich meinen Mann zwei Mal besuchen und dies waren furchtbare Minuten für mich, meinen armen, unbescholtenen guten Mann im Gefängnis zu sehen.“

“Im Dezember 1940 wurde ein Prozess aufgezogen, in dessen Verlauf dieser Vorarbeiter Späth zu 4 Jahren Zuchthaus wegen Erpressung etc. verurteilt wurde. Anstatt dass man diese armen Menschen wieder frei liess, wurden sie im April 1941 nach Dachau abtransportiert.“

„Im Juli 1941 erfuhr ich, dass mein Mann nach Buchenwald kam. Dort verblieb er über ein Jahr und starben die meisten seiner Kameraden. Ab und zu durfte ich ihm Geldsendungen zugehen lassen und einmal ein Paket mit Wäsche.”

 „Im September 1942 erhielt ich nochmals eine Karte aus Oranienburg von ihm. Dies war die letzte Karte, die er mir schrieb.“
Gretel Mayer (HHStAW 518/ 23900)

Im Dezember 1942 erhielt Gretel Mayer die Mitteilung, dass ihr Mann am 27.11.1942 an einer Nierenentzündung gestorben sei.


1.1.6.7./10705870 ITS Digital Archive. Arolsen Archives
An der Schreibstubenkarte aus KZ Dachau fällt auf, dass Josef Mayer die Häftlingskategorie „SchutzJ[ude]“ erhält, aber als Religion „ggl“ [gottgläubig] notiert ist.

Auszug aus der Korrespondenzakte zu Josef Mayer 6.3.3.2./109689056 ITS Digital Archive. Arolsen Archives.

„Die Kette der unvorstellbaren Leiden und Demütigungen…“

Dass in Darmstadt 1940 „die Kette der unvorstellbaren Leiden und Demütigungen verstärkt fortgesetzt“  wurde, bezeugen nicht nur Gretel Mayer und andere überlebende Ehefrauen und Angehörige der ermordeten Darmstädter Bürger nach 1945, sondern auch ehemalige städtische Angestellte äußern sich zur städtischen Zwangsarbeit und den damit verbundenen Terror.

 „Späth hat sich mehrmals Übergriffe erlaubt, die in Schikane und Erpressung ausarteten. Unter anderem ist mir noch in Erinnerung, dass Späth sich von den Juden, die an einem Sonntag einen Waggon Kohle ausladen mussten, den Sonntag bezahlen ließ, indem er von jedem einzelnem eine bestimmte Geldsumme verlangte. Wie er geäußert habe, habe er von der Gestapo den Auftrag erhalten, das Geld hierfür einzukassieren. Ich habe dies zwar nicht selbst gesehen, aber ein Jude namens Meyer von Grießheim hat mir den Sachverhalt […] erzählt.“
Karl Wolff. Darmstadt, den 9.November 1946

Es war meines Wissens im Jahre 1939-40, ich war beim Städt. Tiefbauamt als Vorarbeiter tätig, als mit dem Zwangseinsatz der Juden begonnen wurde. Für die Oberaufsicht dieser Juden war Späth vorgesehen und eingesetzt. Die erste Arbeit, die er mit den Juden berichtete, war die Geländerodung für die verlängerte Landskronstraße. Später wurden die Juden in kleine Abteilungen aufgestellt und Späth besuchte dann nacheinander die Abteilungen, hatte also gewissermaßen die Oberaufsicht über die Judenbeschäftigung. Er spielte sich großartig auf, rauchte ständig Zigaretten und gab an im Auftrag der Gestapo zu handeln. Mir ist noch gut in Erinnerung wie Späth, obwohl es uns untersagt war, mit den Juden gemeinsam zu verkehren. Also auch bei den Essenspausen mit ihnen zusammen zu sein. Hier hat sich Späth nicht daran gehalten, denn er wollte doch seine Vorteile erreichen. Er hielt sich deshalb in ihren Bauhütten auf, ließ sich Bier und Zigaretten bezahlen und nutzte die Juden in jeder sich ihm bestehenden Gelegenheit aus.“
Paul Schubert.
Darmstadt, den 16. November.1946


Abbildungen
Individuelle Dokumente KZ Buchenwald 1.1.5.3./6597555, ITS Digital Archive, Arolsen Archives.

Individuelle Dokumente KZ Buchenwald 1.1.5.3./6597557, ITS Digital Archive, Arolsen Archives.
Schreibstubenkarte KZ Dachau Mayer, Josef 1.1.6.7./ 10 10705970 ITS Digital Archive. Arolsen Archives.  
Auszug Korrespodenzakte Josef Mayer 6.3.3.2./109689056 ITS Digital Archive. Arolsen Archives.

Zitate entnommen
Entschädigungsakte HHStAW 518/ 23900 – Josef Mayer
Spruchkammerverfahren gegen Friedrich Späth HHStAW 520 / 05 14522

Quellen [u.a.]
HHStAW 518/ 23900
HHStAW 520 / 05 14522
HStAD G 24 1278
Die von den Arolsen Archives zur Verfügung gestellten Dokumente.
Liste J Darmstadt, Staatsanwaltschaft […] 2.1.1.1./70309733 ITS Digital Archive, Arolsen Archives.
Namentliches Verzeichnis über Personen, die die Gestapo-Stelle Darmstadt am 10. April dem KZ-Dachau zugewiesen hat. 1.1.6.1./ 9907824 ITS Digital Archive, Arolsen Archives.

Erarbeitet von Emma Krämer und Paula Rombusch


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