So berichtete die Hessische Landeszeitung 1938

EinBlick auf die Rhetorik der NS-Propaganda und „Berichterstattung“

Der Umgang mit Täterdokumenten und die Recherche rund um den Nationalsozialismus erfordern ein scharfes Auge für die unverkennbare propagandistische Sprache der Nationalsozialisten. Die Hessische LandesZeitung ist ein gutes Beispiel dafür. Die amtliche Tageszeitung der NSDAP arbeitet gleichzeitig mit Vereinfachung und Übertreibung von Ereignissen, um den gewünschten Effekt bei den Lesern zu erzeugen. Zu sehen ist dies in dem Artikel der Hessischen LandesZeitung am 11. November 1938 anlässlich der Novemberpogrome in Darmstadt (siehe unten): Dieser nennt die Novemberpogrome nicht, sondern spricht von ihnen als Resultat auf eine „jüdisch[e] Provokation“. Er suggeriert Empörung und spontane Aktion der „Darmstädter Bevölkerung“  und rechtfertigt somit die Gewaltexzesse, ohne die Taten zu nennen. So wird versucht, die deutsche „Volksgemeinschaft“ in ihren patriotischen Gedanken und Haltungen zu verstärken.

Generell wird in den Artikeln vom 11. und 13. November 1938 im Namen aller deutschen Bürger gesprochen, was den Anti-Individualismus der NS-Ideologie natürlicher erscheinen lässt. Juden werden als einheitliches Kollektiv marginalisiert und degradiert. In der Sprache der Nationalsozialisten werden sie entmenschlicht und entindividualisiert: Es wird verallgemeinernd von „Juden“, einem „Judenproblem“, „Ausschaltung des jüdischen Elements“ gesprochen. Auch sind sie Opfer von willkürlichen Diffamierungen, sie werden kriminalisiert. Die genutzte Rhetorik entstammt vor allem den Bereichen der Verschwörungen und Verbrechen. Das ideologische Feindbild wird weiter geschürt und verstärkt.

Die Wahrheit zu berichten, war der LandesZeitung nicht wichtig: Lügen wurden regelmäßig wiederholt und rhetorisch inszeniert, damit Leser deren angebliche Wahrhaftigkeit verinnerlichten. Man nutzte Superlative und ließ Artikel vor Substantiven weg. Dadurch wirkte die Sprache absoluter und Inhalte wurden plakativer. So sollten die Berichte ideologiefestigend und Feindbilder verschärfend wirken, da leicht zu verinnerlichen für unkritische und/oder ungebildete Leser. Die Artikel der LandesZeitung bedienten sich dieser Mittel im November 1938 und hetzten gegen deutsche Juden, ohne die Absicht, über die extremen Ausschreitungen zu informieren.  


Zitate aus der Hessischen Landeszeitung

 Am 11. November 1938

Die Antwort des Volkes // Darmstadts Bevölkerung erhebt sich gegen jüdische Provokation

Von der Stunde an, da in Deutschland die Kunde von der feigen Tat des Mordbuben Grünspan an die Öffentlichkeit gelangte, musste sich jeder anständige Deutsche Zwang antun, um der herausfordernden Frechheit der jüdischen Eindringlinge noch länger zuzusehen. […]

Tief erschüttert über diese frivole Mordtat der Juden fand sich daher die Darmstädter Bevölkerung geschlossen, zum Teil noch in der Nacht, besonders aber in den frühen Morgenstunden zu gewaltigen Demonstrationen als spontaner Ausdruck gegen die Juden und ihre in aller Welt gegen Deutschland entfachte Hetze zusammen. Dass man nicht mit gleichen Mitteln wie Mord und Todschlage gegen die Hebräer vorging, ist wieder einmal der deutschen Langmut und der Disziplin des Volkes zu verdanken. Nicht genug damit, die künftigen Palästinafahrer erhielten noch den besonderen Schutz der deutschen Polizei. Dass man aber die Nester, die Synagogen, in denen sie ihre teuflischen Pläne ausbrüteten dem Erdboden gleichmachte, ist unter den gegebenen Verhältnissen eine außerordentlich milde Vergeltungsmaßnahme, die spontan erfolgte. […]“

Am 13. November 1938

Göring verordnet einschneidendste Maßnahme zur Lösung der Judenfrage// Eine Milliarde Buße für den Mord// Ab 1. Januar 1939 kein jüdischer Betrieb mehr – Die Juden für alle Schäden vom 8., 9. und 10. Nov. verantwortlich// Die Antwort an die Verbrecher

„[…] Der Beauftragte für den Vierjahresplan, Generalfeldmarschall Göring erließ eine Verordnung, der zufolge Juden vom 1. Januar 1939 der Betrieb von Einzelhandelsverkaufsstellen, Versandgeschäften oder Bestellkontoren sowie der selbstständige Betrieb des Handwerks untersagt wird.[…] Weiterhin erließ der Beauftrage für den Vierjahresplan eine Verordnung, der zufolge alle Schäden welche durch die Empörung des Volkes über die Hetze des internationalen Judentums gegen das nationalsozialistische Deutschland am 8., 9. und 10. November 1938 an jüdischen Gewerbebetrieben und Wohnung entstanden sind, von den jüdischen Inhabern bzw. jüdischen Gewerbetreibenden sofort zu beseitigen sind. Die Kosten der Wiederherstellung hat der Inhaber der betroffenen jüdischen Gewerbebetriebe bzw. Wohnung zu tragen. […] Die weiteren einschneidenden Maßnahmen zur Ausscheidung des Judentums aus dem deutschen Wirtschaftsleben und zur Abstellung provokatorischer Zustände werden in kürzester Frist in Form von Verordnungen und Gesetzen getroffen werden. Vor allem wurde der Beschluss gefasst, den deutschen Juden in der Gesamtheit in Form einer Geldbuße von einer Milliarde Mark als die Strafe für den ruchlosen Mord in Paris aufzuerlegen. […]

Endlösung kommt // Trennung zwischen Deutschen und Juden

Mit größter Spannung erwartete das deutsche Volk, das bereits vor drei Tagen seinem Abscheu vor der jüdischen Mordtat in Paris spontan Ausdruck gegeben hatte, die von der Regierung angekündigten Maßnahmen zur endgültigen Lösung des Judenproblems in Deutschland. […] Was die deutsche Reichsregierung heute der Öffentlichkeit übergibt, wird nirgends mit Enttäuschung aufgenommen werden, denn es rechtfertigt sowohl die Erwartungen des deutschen Volkes auf eine schnelle und endgültige Ausschaltung des jüdischen Elements als auch die Vermutungen ausländischer Bobachter, dass in Deutschland ohne Rücksicht auf die Hetze des internationalen Judentums und seiner Mitläufer nun doch ein Ganzes geschaffen werden würde. Die Entscheidung der Reichsregierung konnte nach den Erfahrungen der Vergangenheit nicht anders ausfallen, als dass die Gesamtheit des Judentums […] zur Rechenschaft gezogen wurde, […]


Abbildung
Hessische LandesZeitung, 13.11.1938, HStAD Ztg 154

Quellen und Zitate
Hessische Landeszeitung. Amtliche Tageszeitung der NSDAP Gau Hessen-Nassau Amtsverkündungsblatt der Behörden in Starkenburg, HStAD 
Victor Klemperer: LTI. Notizbuch eines Philologen. Nach der Ausgabe letzter Hand hg. und kommentiert von Elke Fröhlich. Stuttgart: Reclam 2018.

Mit den Zeitungsartikeln, Sprache und Propaganda der Nationalsozialisten beschäftigten sich alle Projektteilnehmer.
Den einleitenden Text „EinBlick…“ verfasste Yasmina El-Idrissi.


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