Efraim/ Fritz Schäfer

Die Behörden des NS-Staates zerstörten zunächst Efraim Schäfers wirtschaftliche Existenz. Im Zuge der Novemberpogrome 1938 wurde er dann als sog. „Aktionsjude“ nach Buchenwald verschleppt und schwer misshandelt. Auch nach seiner Entlassung im Dezember 1938 waren er und seine Familie den massiven staatlichen Repressionen schutzlos ausgesetzt. Am 18. April 1941 deportierte man ihn nach Dachau. Efraim Schäfer starb am 25. März 1942 in der Tötungsanstalt Bernburg.
Nach dem Krieg begann ein für die Angehörigen des Ermordeten quälend langes Wiedergutmachungsverfahren.

Karo Stellwag, Studentin der Buchwissenschaften, Publizistik und Anglistik in Mainz, beschäftigte sich eingehend mit der Entschädigungsakte, las die juristischen Gutachten und Briefwechsel und fragt nun, wie ein Menschenleben überhaupt aufgewogen werden kann. Ihr Interview gibt auch einen sehr persönlichen Einblick in die biografische Arbeit mit archivalischen Dokumenten.

In der Osannstraße 4 verlegte der Arbeitskreis Stolpersteine die Stolpersteine für Efraim Schäfer und seine Töchter Margot und Irmgard. Die Stolpersteine liegen an dem letzten selbstgewählten Wohnort der Familie. (Siehe auch Jutta Reuss/ Dorothee Hoppe: Stolpersteine in Darmstadt (2013).

 >>>> Zum Schicksal der Töchter hier der Beitrag  „Ausbildung statt Zwangsarbeit“ unter „Zwangsarbeit“

Recherchieren – Erinnern – Gedenken
Gegen das Vergessen der Darmstäder Familie Schäfer                                                      

Vor der Viktoriaschule, nicht weit von den Stolpersteinen, steht ein Stein, ein Gedenkstein. „Gegen Vergessen und Gleichgültigkeit“ steht auf ihm. Und er nennt Namen: Liese Juda, Erika Dahlerbruch, Anneliese Trier und Irmgard Schäfer – „vier Namen für viele“. Wer waren diese Mädchen, die während des nationalsozialistischen Regimes der Schule verwiesen worden, unter NS-Terror litten, verfolgt, deportiert und ermordet wurden?

Mit Irmgard Schäfer haben sich Paula Metzger und ich, Lilith Ohr, näher beschäftigt und unter Zwangsarbeit einen Beitrag zur Erinnerung an sie und ihre Schwester erstellt. Davon ausgehend möchte ich – wie auf der Gedenkveranstaltung am Güterbahnhof „Zur Erinnerung an die aus Darmstadt deportierten Juden und Sinti 1942/1943“ September 2021 – hier den Blick auf das Leben der Schäfers in Darmstadt, auf das Leid und den Mut der Eltern richten.

Wie lebte und was erlebte die Familie Schäfer?

Prozessakten, Berichte von Angestellten, Anträge und Zeugenaussagen der Mutter aus der Nachkriegszeit, aber auch Täterdokumente geben Einblicke. Die Familie Schäfer, also die Eltern Elizabeth und Efraim bzw. Friedrich sowie ihre Kinder Wolfgang, Irmgard und Margot, war sehr wohlhabend. Sie besaß nicht nur ein großes eigenes Haus mit Hausangestellten, wie einer Putzfrau, einem Dienstmädchen und einer Kinderschwester, sondern verbrachte bis 1933 ihre Urlaube auf Norderney oder Sylt. Dies war möglich, da Efraim Schäfer einen sehr gutgehenden Großhandel für Lebensmittel, spezialisiert auf Eier, Zucker, Käse, Butter und Dosenmilch besaß. Die Waren wurden teilweise direkt aus Holland, Rumänien und Dänemark bezogen und drei Fahrer belieferten zahlreiche Kund*innen im Odenwald und an der Bergstraße. Laut Berichten habe immer eine freundliche Atmosphäre im Geschäft geherrscht und Efraim Schäfer sei ein gerechter und großzügiger Arbeitgeber für seine 15 Angestellten gewesen. Auch bei der Kundschaft sei er sehr beliebt gewesen.

Die Familie legte viel Wert auf die Erziehung der Kinder: Irmgard besuchte die Viktoriaschule, damals noch die höhere Mädchenschule in Darmstadt. Margot ging auf die Mornewegschule. Beide Mädchen erhielten außerdem Klavierunterricht und die Mutter nahm Gesangsunterricht bei der Opernsängerin Paula Momber-Mannecke.

Doch bereits 1933 veränderte das Leben der Familie: Irmgard und Margot, erst 10 und 7 Jahren alt, erlebten die ersten Boykotte und den Tod ihres älteren Bruders Wolfgang. Er wurde von einem HJ-Führer misshandelt und musste operiert werden. Er starb an den Folgen. So sehr die Mutter versuchte ihre Töchter zu beschützen, der Antisemitismus und die damit einhergehende Gewalt wurden ein immer größer werdender Teil im Leben der beiden Mädchen. Aufgrund von Boykotten  ging der Geschäftsumsatz erheblich zurück. So blockierten Mitglieder der NSDAP eine Zeitlang die Ausfahrt der Geschäftswagen der Eiergroßhandlung Schäfer und Hönigsberg, dessen Inhaber Efraim Schäfer war. Bis 1936 mussten aus finanziellen Gründen Angestellte nach und nach entlassen werden. Und im Frühjahr 1938 wurde das Geschäft unter Wert zwangsarisiert. Auch die Novemberpogrome trafen die gläubige Familie besonders. Nicht nur die Synagogen in Darmstadt wurden zerstört, auch der Vater, obwohl er im ersten Weltkrieg ausgezeichnet wurde und auch das Hindenburgkreuz erhalten hatte, wurde als sogenannter „Aktionsjude“ in das Konzentrationslager Buchenwald deportiert.

1939 erhielt die Familie dann endlich die Ausreisegenehmigung, um die sie sich seit drei Jahren bemühte. Da jedoch viele nach Australien ausreisen wollten, waren die Tickets knapp und die Reservierung der Schiffskabinen gelang erst für Oktober. Die Nationalsozialisten hatten den Krieg begonnen. Damit scheiterte der Versuch der Familie, vor Verfolgung und Terror zu fliehen. 

Die Schwestern Irmgard und Margot gingen auf die jüdische Schule, nachdem Margot bereits 1936 die Mornewegschule und auch Irmgard die Viktoriaschule verlassen mussten. Doch auch auf der jüdischen Schule konnten sie nicht lange bleiben, sondern mussten eine Ausbildung beginnen. Irmgard bei der Modistin Frank und Margot im Fotolabor Collmann. Ob die Ausbildungen freiwillig gewählt wurden, geht aus den Akten nicht hervor.

Seit Winter 1939/40 mussten die Mädchen miterleben, dass der Vater mit anderen jüdischen Männern harte Zwangsarbeit leisten musste. Selbst in dieser Situation versuchte der Vater die Familie noch zu schützen und hielt die Erpressungen, die er durch den städtischen Aufseher Friedrich Späth erlitt, von der Familie fern. Jedoch wurde ihm – als es zu einem Verfahren gegen den Erpresser kam – Bestechung vorgeworfen. Er wurde verhaftet, angeklagt und verurteilt. Während er im Gefängnis in der Rundeturmstraße in Darmstadt inhaftiert war, bemühte sich Elizabeth Schäfer mehrfach um seine Freilassung. Doch vergeblich. Nach Elizabeth Schäfer soll er sogar fünf Wochen in Einzelhaft gewesen sein. Sie sagte weiter, ihr selbst und ihren Töchtern sei von dem Gestapobeamten Bruno Böhm KZ-Haft angedroht worden, als sie vorsprach, um die Entlassung des Ehemanns und Vaters zu erbitten. Böhm habe außerdem gesagt, andere im ersten Weltkrieg Ausgezeichnete habe man erschossen. Margot, ihre Tochter, sei dabei gewesen und darüber ebenfalls sehr erschrocken. Mittlerweile bemühte sich die Familie wieder um ein Visum, diesmal nach Amerika. Die Ausreise misslang jedoch abermals. Ende April 1941 wurde Efraim Schäfer ins Konzentrationslager Dachau und wenige Wochen später nach Buchenwald deportiert. Offiziell starb Irmgards Vater im Konzentrationslager Buchenwald am 24. März 1942 an Hirnschlag. Allerdings zeigt eine Überführungsliste, dass er in der Euthanasieanstalt Bernburg zehn Tage zuvor ermordet wurde.   

Elizabeth Schäfer bemühte sich die ganze Zeit über ihre Töchter zu schützen. So versuchte sie, sie als sogenannte „jüdische Mischlinge 1. Grades“ anerkennen zu lassen, da sie zum Judentum konvertiert war. Dies misslang jedoch und so mussten Irmgard und Margot den Judenstern tragen und unter vielen weiteren Regeln und Verboten leiden, wie Fahrräder, Radio und Fotoapparate bei der Gestapo abgeben. 1942 mussten Irmgard und Margot mit ihren Ausbildungen aufhören. Irmgard wurde sogar während der Arbeitszeit im Atelier von der Polizei abgeholt. Drei Monate leisteten die Mädchen Zwangsarbeit im Textilwerk Darmstadt-Gebrüder Hering. 1943 – Irmgard war 19 und Margot erst 16 Jahre alt – wurden sie, wie der Inhaber Ludwig Hering bestätigte, während der Zwangsarbeit von Gestapobeamten verhaftet und deportiert – zunächst in ein Gefängnis in Plauen/Vogtland, wo Elizabeth Schäfer sie noch besuchen durfte.

Elizabeth Schäfer versuchte alles, um ihre Mädchen zu befreien. Sie sprach bei Winifred Wagner, der Frau des Komponisten Siegfried Wagner, vor und machte Eingaben an die Gestapo nach Berlin. Doch all ihre Bemühungen führten nur dazu, dass der Gestapobeamte Bruno Böhm ihr drohte, ihr werde dasselbe Schicksal wie ihren Kindern widerfahren.

Der Kontakt zur Mutter brach spätestens mit der Deportation nach Auschwitz komplett ab. Zwar erhielt Elizabeth Schäfer noch einmal, im September 1943, eine Postkarte von Irmgard. Irmgard war jedoch schon im August an Kachexie gestorben. Das bedeutet, sie entkräftete und verhungerte aufgrund der schlechten Bedingungen; also wurde sie umgebracht. Margot Schäfer wurde in Auschwitz Ende 1944 ermordet.

Auch die Mutter blieb in Darmstadt von Verfolgung und Drohungen vor allem seitens des Gestapobeamten Bruno Böhm nicht verschont. Sie musste mehrfach umziehen, zunächst in die Wohnung der Familie Samuel Mainzer in der Kranichsteiner Straße, dann zog sie zu ihrem Vater. Schließlich musste sie sich selbst in Darmstadt vor Böhm verstecken. Nach dem Krieg emigrierte sie nach Australien. Sie unterstützte mit ihren Aussagen und Schreiben an die Staatsanwaltschaft, dass Gerichtsprozesse gegen die Täter erfolgen konnten und heute an das traurige Schicksal ihrer Familie erinnert werden kann.

Warum erinnern?

Es war für mich wichtig, an dem Projekt der Darmstädter Geschichtswerkstatt teilgenommen zu haben. Das Leid der beiden Mädchen, die etwa in meinem Alter waren, hat mich bewegt. Sich selbst so ausführlich und detailliert mit dem Nationalsozialismus zu befassen, hat mir den Schrecken und die Grausamkeit nochmal verdeutlicht gezeigt. Es ist wichtig, die Menschen, die darunter litten, nie zu vergessen und ihnen zu gedenken. Natürlich gab es Schwierigkeiten bei unserer Recherche. Manche Aussagen in den Akten waren ungenau oder widersprachen sich sogar, wie z.B. ob die beiden die Schule schon beendet hatten. Außerdem gab es Kopien von Briefen und Zeugenaussagen, die handschriftlich geschrieben waren. Es war schwer, diese zu entziffern und gelang auch nicht immer sicher.

Dass es heute immer noch Personen gibt, die den Holocaust leugnen oder verharmlosen, und Querdenker*innen, die sich mit Sophie Scholl vergleichen, zeigt, wie wichtig es ist, weiter zu erinnern. Das Leid und die Gefahr der Opfer und Verfolgten des Nationalsozialismus wird von ihnen missachtet und für ihre antidemokratischen Ziele ausgenutzt. Die Erinnerungsarbeit sehe ich als wichtigen Bestandteil einer demokratischen und antifaschistischen Gesellschaft.

Vor der Viktoriaschule steht ein Stein, ein Gedenkstein. „Vier Namen für viele“ steht auf dem Stein. Einer der Namen ist Irmgard Schäfer. Dann erinnert er auch an Liese Juda, geboren am 24. Juli 1921 in Darmstadt. Sie emigrierte am 3. September 1939 nach Frankreich. Doch auch ihre Flucht vor dem Nationalsozialismus misslang. Liese Juda wurde am 9. September 1942 von Drancy ins Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz deportiert. Erika Dahlerbruch, geboren am 18. Oktober 1923 in Darmstadt, wurde am 20. März 1942 nach Piasky deportiert. Diese erste Deportation vom Darmstädter Güterbahnhof vor achtzig Jahren war getarnt als „Umsiedlung zum Arbeitseinsatz“, bedeutete aber für die ungefähr 1000 Menschen – 164 kamen aus Darmstadt – den Weg in die Ermordung. Anneliese Trier, geboren am 30. Januar 1920 in Darmstadt, wurde bereits am 20. Oktober 1941 ins Ghetto Litzmannstadt (Lodz) deportiert und nach dem Krieg für Tod erklärt. „Gegen Vergessen und Gleichgültigkeit“ steht auf dem Stein vor unserer Schule. Es ist mehr als nur ein Gedenkstein.

Lektürehinweise und Quellen (u.a.)

https://arolsen-archives.org – ITS Digital Archive, Arolsen Archives. Digitalisate zu Efraim Schäfer, Irmgard Schäfer und Margot Schäfer.
HHStAW 518/ 28257 (Entschädigungsverfahren Ephraim Schäfer)
HHStAW 520 / 05 29045 (Spruchkammerverfahren gegen Bruno Böhm)
HStAD H13 DA 1071 (Schwurgerichtsverfahren gegen Bruno Böhm)
HHStAW 520 / 05 14522 (Spruchkammerverfahren gegen Friedrich Späth)

Battenberg, F./ Engels, P./ Lange, T. (Hgg): Juden als Darmstädter Bürger“. Wiesbaden 2019.
Reuss, J./Hoppe, D. (Hgg): Stolpersteine in Darmstadt. Darmstadt 2013.

Der Beitrag: „Recherchieren – Erinnern – Gedenken“ von Lilith Ohr findet sich ähnlich auch im Jahresheft des Fördervereins der Viktoriaschule Frühjahr 2022.


Efraim/ Fritz Schäfer

Die Behörden des NS-Staates zerstörten zunächst Efraim Schäfers wirtschaftliche Existenz. Im Zuge der Novemberpogrome 1938 wurde er dann als sog ...
Weiterlesen …

Jakob Eckstein

„Die Bevölkerung ist stillschweigend vorbeigegangen, dachten wahrscheinlich nur: es betrifft sie ja nicht. Das war Deutschland. Es war für mich ...
Weiterlesen …

Rudolf Adler

Wie nähert man sich einem vergangenen Leben, das hinter den archivalischen Quellen doch nur zu erahnen ist? Wie durchschaue ich ...
Weiterlesen …

Wilhelm Mayer

Am 6. April 2022 verlegte Katja Demnig in der Martinstraße 15 in Darmstadt Stolpersteine für die Familie Mayer - für ...
Weiterlesen …

Diese Seite verwendet Cookies, um die Nutzerfreundlichkeit zu verbessern. Mit der weiteren Verwendung stimmst du dem zu. Diese Webseite bettet Videos ein, die auf dem Videoportals Vimeo der Vimeo, LLC, 555 West 18th Street, New York, New York 10011, USA hinterlegt sind. (Siehe Datenschutzerklärung)

Datenschutzerklärung