Rudolf Adler

Wie nähert man sich einem vergangenen Leben, das hinter den archivalischen Quellen doch nur zu erahnen ist? Wie durchschaue ich die Sprache der Dokumente aus den Verfolgungsbehörden und Konzentrationslagern, die doch nur Täterdokumente sind? Welche Vorstellungskraft und Empathie benötigen wir eigentlich, um uns den Menschen vorzustellen, dessen Biografie wir versuchen zu erforschen?

Hannah Glaser sucht in diesem Interview am Beispiel des Schicksals Rudolf Adlers, der am 2. März 1942 in der Tötungsanstalt Bernburg ermordet wurde, Antworten auf diese Fragen.


Rudolf Adler wuchs mit den Eltern Emanuel und Rosa Adler und seinen zehn Geschwistern, darunter Lina und Elise, Bertha, Josephine und Max Adler, in der Mauerstraße 20, nahe der Darmstädter Innenstadt auf. Die Geschwister Rudolf, Lina, Elise und Max lebten auch in den späteren Jahren in diesem großen, vierzehn Zimmer umfassenden Haus und führten einen gemeinsamen Haushalt. Lina Adler wird in Dokumenten des Konzentrationslagers Buchenwald als Rudolf Adlers nächste Angehörige aufgeführt. Im Nachlassbericht zu Rudolf Adler, ausgestellt 1947 durch das Darmstädter Amtsgericht, heißt es, die beiden Geschwistern seien Ende März 1942 „nach dem Osten ausgewandert“ und eine weitere Schwester lebe in Amerika. Aus einer Suchanfrage von Bertha Adler, der in New York lebenden Schwester, geht hervor, dass Elise Adler im Zuge „einer Judenaktion“ in ein Lager kam und dort verstarb. Die Schwester Josephine Skurnik (geb.Adler) und ihr Mann Aron Skurnik wanderten nach Haifa/Israel aus und suchten später nach Elise, Lina und Rudolf und stellten Anträge auf Entschädigung. Sie waren nach Haifa/Israel ausgewandert. Abgesehen von seinen Eltern und Geschwistern hatte Rudolf Adler keine weitere Familie, er war ledig.

Liste Aktionsjuden 1.1.5.1 / 5278110 ITS Digital Archive. Arolsen Archives

„Rudolf Adler war ein tuechtiger Kaufmann, und er war, wie in der Familie bekannt war, gut situiert.“

So die Erinnerung seiner Großcousine Gertrud Preiss im Januar 1963 anlässlich des Entschädigungsverfahrens.

Rudolf Adler besaß in der Mauerstraße 20 ein gut laufendes Geschäft für Futtermittel und vermittelte darüber hinaus Immobilien. Sein Einkommen betrug 600,- bis 700,- RM. Infolge der nationalsozialistischen Boykottmaßnahmen musste Rudolf Adler bereits 1934/35 sein Geschäft schließen.

Am 11. November 1938 wurde er wie viele jüdische Männer als „Aktions-Jude“ in das Konzentrationslager Buchenwald verschleppt (Häftlingsnummer 22038).
Am 2. Dezember 1938 entließ man ihn.

>>>>siehe auch „INFO: Deportationen im November 1938“ unter Beitrag Ludwig Kahn/

>>>>siehe zu Novemberpogrom in Darmstadt die Beiträge unter der Seite „Pogrome“/

Ab 1939 verschärften sich die behördlichen Repressalien und die gewalttätigen Übergriffe gegen die jüdische Bevölkerung zunehmend. Im Winter 1939/40 wurden dreißig bis vierzig jüdische Männer aus Darmstadt in einem „Arbeitskommando“ zusammengefasst und zu Arbeitseinsätzen zwangsverpflichtet (>>>>siehe auch Zwangsarbeit in Darmstadt). Die Arbeitsgruppe unterstand dem Kommando des Städtischen Angestellten Friedrich Späth. Er ließ sich nun für „Gefälligkeiten“, wie zum Beispiel die Erlaubnis wegen Krankheit zu Hause zu bleiben oder dringende behördliche Termine wahrzunehmen von den zum Arbeitseinsatz verpflichteten Juden bezahlen. Dies ging so weit, dass er denen, die ihm am meisten zahlten, eine Arbeitserleichterung und Vorzüge gegenüber den anderen verschaffte. Späth ließ sich so durch die erpressten Zahlungen unter anderem seine Wohnungseinrichtung finanzieren (>>>>siehe Zwangsarbeit unter Friedrich Späth und >>>>vertiefend Georg Friedrich Späth). Als die Affäre an die Öffentlichkeit gelangte, erstattete die Jüdische Religionsgemeinde Strafanzeige.

Darauf folgte ein langes Untersuchungsverfahren, währenddessen Ermittlungen eingeleitet und die Männer in Schutzhaft genommen wurden. So wurde auch Rudolf Adler am 18.07.1940 durch die Stapo Darmstadt verhaftet und in Schutzhaft genommen, da er wie auch die anderen angeklagten Juden „durch ihr Verhalten den Bestand und die Sicherheit von Volk und Staat gefährden“ würden. So der Wortlaut eines der Schutzhaftbefehle. Als Grund der Verhaftung wird auf dem Häftlingspersonalbogen des KZ Buchenwald „Erpressung“ eingetragen, da die Juden, durch die von Späth eingeforderten Zahlungen an ihn, versucht hätten, sich Arbeitserleichterungen zu verschaffen. Außerdem habe ihr Verhalten „Unruhe in die Reihen der übrigen Mitarbeiter hineingetragen und zudem das Ansehen der Behörden untergraben“, laut Schutzhaftbefehl.

Nach einer mehrmonatigen Haft im Schutzhäftlingstrakt des Landgerichtsgefängnis (Rundeturmstraße) wurde Rudolf Adler am 10. April 1941 dann in das Konzentrationslager Dachau deportiert, wie auch die meisten Männer des „Arbeitskommandos“, die zwischen dem April und August ebenfalls nach Dachau kamen.

Rudolf Adler wurde unter der Häftlingsnummer 24443 registriert. Nach dem Eintrag der Schreibstubenkarte musste er am 26. April 1941 in den von den Häftlingen besonders gefürchteten Strafblock des Lagers.

Dachau bedeutete für ihn so wie für viele andere nicht die letzte Station seines Leidenswegs.

Schreibstubenkarte KZ Dachau Adler, Rudolf 1.1.6.7./ 10605884 ITS Digital Archive. Arolsen Archives. 
Individuelle Dokumente KZ Buchenwald 1.1.5.3/ 5413567 ITS Digital Archive. Arolsen Archives.

Am 5. Juli 1941 wurde Rudolf Adler in das Konzentrationslager Buchenwald unter der Häftlingsnummer 7550 bzw. 6747 als jüdischer politischer Häftling registriert. Er kam in Block 22, später 16).

Während seiner Haft im KZ Buchenwald bekam Rudolf Adler gewisse Geldsendungen, von denen auch ein großer Teil wieder von seinem Häftlingskonto abging. Wer den Betrag überwies, bleibt unklar. Das konnte bedeuten, dass Rudolf Adler sich im Lager, in Zeiten, in denen die Häftlinge etwas für ihr Geld bekamen, gewisse Vorzüge wie Essen oder eine bessere Behandlung von Seiten der Blockältesten oder Kapos erkaufen konnte.

Nachdem Rudolf Adler als nicht arbeitsfähig und krank eingestuft wurde, kam er am 2. März 1942 in die als „Heil- und Pflegeanstalt“ aufgeführte Euthanasie-Anstalt Bernburg. In dieser Tötungsanstalt wurden etwa 5000 Häftlinge aus sechs Konzentrationslagern mit Gas ermordet. Auch Rudolf Adler kam dort am 13. März 1942 ums Leben. Um die planmäßige Ermordung zu kaschieren, wurde als Todesursache „akute Herzschwäche“ genannt, so die Recherchen des „Comité international de la Croix-Rouge“ im Jahre 1961.

Die Urne mit den sterblichen Überresten Rudolf Adlers wurde an dem Tag, an dem man Elise und Lina deportierte, nach Darmstadt zurückgebracht und dort auf dem jüdischen Friedhof beigesetzt.

Der Nachlass Rudolf Adlers bestand aus Mobiliar, Kleidern und Wäsche. Eine Frau Recha Mayer, wohnhaft in der Bleichstraße 15, Darmstadt, sollte nähere Auskunft über den Nachlass und das Erbe geben können. Aus dem Antrag auf Entschädigung, den Josephine Skurnik am 24.02.1958 stellte, geht hervor, dass die Schwestern Josephine und Berta Adler und ihre Tochter Felicia Zander gleichberechtigte Erbansprüche hatten. Eine Kapitalentschädigung von 14.688,- DM, berechnet aus dem durch Verfolgung „entstandenen Schaden im beruflichen Fortkommen“, wurde den Angehörigen am 2. September 1965 mitgeteilt. Das Haus der Familie Adler in der Mauerstraße 20 wurde im Dezember 1944 zerstört.


Abbildungen
Liste Aktionsjuden 1.1.5.1 / 5278110 ITS Digital Archive. Arolsen Archives.

Schreibstubenkarte KZ Dachau Adler, Rudolf 1.1.6.7./ 10605884 ITS Digital Archive. Arolsen Archives. 
Individuelle Dokumente KZ Buchenwald 1.1.5.3/ 5413567 ITS Digital Archive. Arolsen Archives.

Quellen [u.a.]
HHStAW 518/ 22950
HStAD G 24 1278, Bl. 126ff.
Comité international de la Croix-Rouge. Nr 431829 (1961). Korrespondenz Rudolf Adler. 6.3.3.2./88202732. ITS Digital Archive. Arolsen Archives.
Namentliches Verzeichnis der Gestapo-Stelle Darmstadt 1.1.6.1./9907824 ITS Digital Archive. Arolsen Archives.
Schutzhaftbefehl gegen Efraim Schäfer. In: HHStAW 520 / 05 29045


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