„Die Bevölkerung ist stillschweigend vorbeigegangen, dachten wahrscheinlich nur: es betrifft sie ja nicht. Das war Deutschland. Es war für mich [das] Grausamste, was man erlebte und das [hat mich] seelisch und körperlich zu Grunde gerichtet.“ Elise Eckstein nach 1945
„Er war mir als ein ausgezeichneter Fachmann bekannt […]. Auch bis in die späten Abendstunden hinein hatte Jakob Eckstein in der Werkstatt gearbeitet und Reparaturen ausgeführt. In dieser Hinsicht zeigte er besonders großes Geschick. […] Er lebte nur für die Familie und seinen Betrieb.“ Wilhelm Gaigals
Boykott und NS-Terror treffen die Familie Jakob Eckstein
Jakob Eckstein war von Beruf Uhrmachermeister. Er besaß ein eigenes Geschäft für Uhren-, Silber und Goldwaren. Mit seiner Familie lebte er in gutbürgerlichen Verhältnissen. Er soll für seine Familie und seinen Beruf gelebt haben und wird als anständig und loyal charakterisiert. Bei seinen Kunden hatte er großes Ansehen und war als ein ausgezeichneter Fachmann in Darmstadt bekannt, er repariere Uhren mit besonderem Geschick, sagte man. Sein gutgehendes Geschäft existierte seit dem Ersten Weltkrieg. Viele Darmstädter kauften bei ihm Uhren und Schmuck oder ließen ihre Uhren von ihm reparieren. Er beschäftigte einen Gehilfen und bildete Lehrkräfte aus. Zudem reparierte Jakob Eckstein selbst häufig bis in den Abend hinein die Uhren seiner Kunden. Das Geschäft besaß hochwertige Apparate und war infolge Umbauten immer zeitgemäß ausgestattet. Im Entschädigungsverfahren wurde der Wert des modern eingerichteten Geschäftes mit 60.000 RM geschätzt.
„Für mich die traurigste Zeit meines Lebens und ich danke Gott, dass ich von Geburt Schweizerin bin, sonst würde ich mich des Landes schämen müssen, dass solche Morde auf sich ruhen hat.“ Elise Eckstein nach 1945
Boykotte und Maßnahmen gegen den Inhaber wegen seiner „rassischen Abstammung“ führten im Jahr 1937 zur Schließung des Geschäfts. Seit 1933 war der Geschäftsumsatz gravierend zurückgegangen und die Familie schloss das Geschäft unter dem Druck der Nationalsozialisten. Ein Verkauf von Waren zur Geschäftsschließung durfte nicht erfolgen. Stattdessen mussten Einrichtungsgegenstände des Geschäfts in einem Schuppen aufbewahrt werden. Diesen konnte man nicht verschließen und so waren die Gegenstände der Witterung ausgesetzt. Auch ihre Wohnung musste die Großfamilie aufgeben und binnen kurzer Zeit in die Kahlertstraße 21 umziehen. Die neue Wohnung war sehr eng, so dass die Familie auf engstem Raum zusammenlebte. Das Wohnzimmer wurde gleichzeitig als Werkstatt genutzt. Hier arbeitete Jakob Eckstein weiter und übernahm für seine jüdischen Kunden Reparationen. Doch der Uhrenmeister durfte mit keinem Zeitungsinserat auf den Umzug hinweisen oder ein Schild an der neuen Adresse anbringen.
Das Darmstädter Novemberpogrom 1938 traf auch die Familie Eckstein: Sie musste als Edelmetallabgabe Schmuckstücke im damaligen Wert von 2.000 RM abliefern. Darunter waren neben privaten Schmuckstücken fast der ganze noch erhaltene Geschäftsbestand. Jakob Eckstein legte lediglich eigene Uhren zurück, um für Kosten für die ärztliche Behandlung seiner Frau aufkommen zu können, die schwer erkrankt war. 1940 wurde Jakob Eckstein zur Zwangsarbeit verpflichtet und litt extrem unter den Erpressungen des städtischen Aufsehers Friedrich Späth. Juli 1940 verhaftete man auch Jakob Eckstein im Rahmen des Ermittlungsverfahrens gegen Späth und beschlagnahmte weitere Wertgegenstände. Im Anschluss an den Prozess wurde auch Jakob Eckstein von dem Gestapobeamten Bruno Böhm weiter in Schutzhaft genommen und im April 1941 ins KZ Dachau verschleppt. Sein Zugang wird auf der Schreibstubenkarte und im Zugangsbuch des Konzentrationslagers am 18. April 1941 notiert.
vertiefend zu >>>>Zwangsarbeit und >>>>Georg-Friedrich-Spaeth-Taeter/
Schreibstubenkarte des KZ Dachau
Die Karte verzeichnet den „Zugang“ in Dachau und die „Ü[berführung]“ ins KZ Buchenwald am 5. Juli 1941.
Häftlingsnummer und -kategorie sind oben rechts notiert.
Angaben zu Familienstand („v[erheiratet]“), Anzahl der Kinder (7) und Religion („m[osaisch]“) finden sich unterhalb der Adresse.
Schreibstubenkarte KZ Dachau Eckstein, Jakob 1.1.6.7./ 10636684 ITS Digital Archives. Arolsen Archives.
Jakob Eckstein
EinBlick auf seine Biografie
- geboren am 15.09.1977, Friedberg
Eltern: Moses & Johanna (geb. Blumenthal) Eckstein - gestorben am 28.08.1941, KZ Buchenwald
- Nationalität: Deutsches Reich, Staatsangehörigkeit laut NS israelisch
- Religion: Jude, israelisch
- Beruf: Uhrmachermeister und Geschäftsinhaber eines gut gehenden modernen Geschäfts für Uhren-, Silber- und Goldwaren in Darmstadt
- zuletzt aufgrund der NS-Entrechtungs- und Vernichtungspolitik als erwerbslos gemeldet.
Elise Eckstein
EinBlick auf ihre Biografie
- geboren am 01.09.1879, in Lutzenberg/ Schweiz, geborene Kehl
lebte bis 01.03.1909 in München
Stiftstraße 52, danach in Darmstadt - Nationalität: deutsch, gilt laut Nationalsozialisten nach Tod von Jakob wieder als „arisch“
- Religion: katholisch
- Beruf:
Besitzerin eines Zigarren-, Zigaretten- und Tabakwarengeschäft
Ihre Kinder
EinBlicke in ihre Lebensorte
Elsa Germann, geb. Eckstein
Geboren am 10.09.1902
Lebte in Darmstadt, Wittmannstraße 8.
Wie ihre Mutter leistete auch Elsa Germann Zeugenschaft und sagte gegen Späth und Böhm in den Spruchkammerverfahren nach 1945 aus.
Hermann Eckstein
Geboren am 19.12.1903
seit 1928: Inhaber eines Uhrmacher- und Goldwarengeschäft in Kerpen/ Bezirk Köln
1933: Schließung des Geschäfts aufgrund NS-Boykotten
Danach: Umzug und Aufenthalt nach Bordeaux.
Dann lebt er wieder für 9 Monate in Darmstadt, bevor er 1936 nach Belgien emigriert.
Letzte Lebensjahre
19.07.1940, 17:40 Uhr
Inhaftierung in der Haftanstalt Darmstadt, Schutzhaft angeordnet durch Gestapo
offizieller Grund: Bestechungsangelegenheit
23.12.1940
Urteilsverkündung des Landgerichts Darmstadt: schuldig gesprochen
17.04.1941, 7:00 Uhr
„Entlassung“ aus der Schutzhaft in Darmstadt auf Anordnung von Gestapo: Aber es folgt der Abtransport nach Dachau
18.04.1941
Ankunft im Konzentrationslager Dachau
eingetragene Häftlingskategorie:
politische Schutzhaft/ Jude
Häftlingsnummer 24489
Orte ihrer Lebensjahre
Lebte zuerst in der Schweiz
Dann bis 01.03.1909 in München, Stiftstraße 52
Wohnorte in Darmstadt
Elise Eckstein lebte und arbeitete mit Jakob und Kindern zunächst in Großen Ochsengasse 1E und 2.
Wegen NS-Verfolgung und Boykotten:
Geschäftsaufgabe und Umzug in die Kahlertstraße 21. Hier waren die Räumlichkeiten nicht angemessen für die Großfamilie.
Sie selbst litt unter Repressionen und erlitt Unrecht – der Grund: die jüdische Konfession ihres Mannes.
Sie verließ Deutschland am 08.01.1947 mit dem Schiff Erniepyle und zog zu ihrer Tochter nach New York, Brooklyn 18, Nr4, 330 Ocean Parkway.
Arthur Eckstein
Geboren am 13.04.1905
Gestorben am 22.06.1905
Jenny Weber, geb. Eckstein
Geboren am 01.04.1906, in Straßburg
„Emigrierte“ und lebte in Amsterdam, Gherard-Donstraat 72.
Siegfried Eckstein
Geboren am 18.08.1907, in München
Lebte in Darmstadt, Liebigstraße 10.
Siegfried Eckstein vertrat Elise Eckstein in den Nachlassverhandlungen.
„Das Uhrmachergeschäft war allen erforderlichen Werkzeugen, Einrichtungen und Apparaten zeitgenmäß ausgestattet, die damals für die Führung eines solchen Betriebes notwendig waren.“
Siegfried Eckstein
05.07.1941
Transport ins Konzentrationslager Buchenwald
Häftlingsnummer 6743/7688
Damit zeigt die Karte, dass Jakob Eckstein bereits vor 1941 in KZ Buchenwald inhaftiert war: Er war einer derjenigen, die 1938 im Anschluss an die Novemberpogrome ins KZ Buchenwald verschleppt wurden.
28.08.1941, 2:00 Uhr
Im KZ Buchenwald verstorben
angegebene Todesursache: Lungentuberkulose
Er hinterlässt seiner Familie ein Erbe von 100 RM. Seine Urne wurde auf dem jüdischen Friedhof in Darmstadt beigesetzt.
aktuelle Nummer: 304-Abteilung A.
E. Völkers erinnert sich aus ihrer Kindheit an das Geschäft von Jakob Eckstein:
„Ja, wir waren ziemliche Stammkunden. Mein Opa hat seine Taschenuhr dort machen lassen. Das war eine tolle Zeit bis 38. Ich war gerne da. Es hat mir gut gefallen.“ E. Völkers 2021
Erinnerungen an Jakob Eckstein
- „Aufgrund meiner langjährigen Verbindung zu Jakob Eckstein kann ich ihn auch nur als einen sehr anständigen und loyalen Menschen beschreiben. Er lebte nur für die Familie und seinen Betrieb“ Wilhelm Gaigals
- „Der Inhaber hatte gut zu tun, sein Geschäft wurde von vielen Kunden besucht. […] Herr Eckstein selbst hatte die Arbeiten tagsüber vielfach nicht bewältigen können, er arbeitete auch noch spät abends. Von Kunden hörte ich, dass er grosses Ansehen genoss als Uhrmachermeister“
Hermann Pohl - „Der Vater Jakob Eckstein war als ein äusserst geschickter Uhrmacher bekannt. […] Bei meinem Verkehr in dem Hause Eckstein hatte ich auch den Eindruck gewonnen, dass die Familie in gut bürgerlichen Verhältnissen lebte“
Rudolf Zörgiebel
Nach 1945
Elise Eckstein ist eine der Ehefrauen der ermordeten Darmstädter, die aktiv Zeugenschaft leisten und in den Ermittlungsverfahren gegen Friedrich Späth und Bruno Böhm aussagen.
Sie spricht gegen Späth aus und benennt das Unrecht, das ihrer und anderen Familien durch und infolge der Zwangsarbeiten widerfuhr.
Elise Eckstein verlässt Deutschland aufgrund gesundheitlicher Probleme und der starken psychischen Belastung. Sie erblindet.
Sie war schon in Darmstadt während der NS-Zeit schwer und langwierig erkrankt. Die Kosten der ärztlichen Behandlung konnte Jakob Eckstein nur aufgrund Rücklagen begleichen.
Berthold Eckstein
Geboren am 25.07.1909
Verschollen, für tot erklärt zum 31. Dezember 1945
Als Erbe und seine Vertreterin im Nachlass von Jakob Eckstein trat seine Witwe Elisabeth (geb. Friedrich, 18.10.1905, in Hassenroth) ein.
geboren in Darmstadt
Regina (später: Jane) Fallner, geb. Eckstein
Geboren am 01.08.1911, in Darmstadt
„Emigrierte“ und lebte in New York, Brooklyn 18, 330 Ozean Parkway. Elise Eckstein zog 1947 zu ihr und lebte bei ihr.
Ernst Eckstein
Geboren am 08.09.1925
Gestorben am 20.06.1963 in New York
Emigrierte und lebte zuletzt in New York, Flushing, Long-Island. Seine Ehefrau Sadie (geb. Meyer) trat als Alleinerbin und Vertreterin seiner Ansprüche ein. Ihre Adresse: Brichwood Drive, New Hyde Park, N.Y. USA
Jakob Eckstein wurde aufgrund rassistischer und religiöser Gründe verfolgt, inhaftiert und ermordet. Elise Eckstein beantragte wegen Diskriminierung der Rasse, Hausdurchsuchung, Boykott der Geschäfte, Wertabgaben an die Gestapo (letzte in Höhe von 2000 RM) einen Anspruch auf Entschädigung. Ihr Antrag auf Wiedergutmachung des wirtschaftlichen Schadens, der durch Geschäftsauflösung und Zwangsarbeit ihres Mannes entstanden ist, wurde genehmigt. Ihren Sohn Siegfried hat sie bevollmächtigt, sie im Nachlassverfahren zu vertreten. Die juristische Vertretung übernahm Rechtsanwalt Heinrich Müller, Büro: Darmstadt, Rheinstraße 35. Nachdem die Entschädigung zugesprochen war, gab es Probleme mit der Zustellung. Die Summe der Entschädigungszahlungen betrug 88.007,46 DM.
In den Spruchkammerverfahren gegen Friedrich Späth ist sie eine der wichtigsten Belastungszeuginnen. Aufgrund ihrer Aussagen können Zwangsarbeit in Darmstadt und Täterhandeln rekonstruiert werden.
Abbildungen:
Individuelle Dokumente (KZ Buchenwald) 1.1.5.3./ 5080138-40 ITS Digital Archive, Arolsen Archives.
Schreibstubenkarte KZ Dachau Eckstein, Jakob 1.1.6.7./ 10636684 ITS Digital Archives. Arolsen Archives.
Zitate entnommen
den Entschädigungsakten von Elise und Jakob Eckstein (HHStAW 518/ 37663 und 37709)
sowie den Spruchkammerverfahren gegen Bruno Böhm und Friedrich Späth.
Quellen [u.a]:
Die von den Arolsen Archives zur Verfügung gestellten Dokumente.
Liste J Darmstadt, Staatsanwaltschaft […] 2.1.1.1./70309733 ITS Digital Archive, Arolsen Archives.
HStAD G 24 1278
HHStAW 520 / 05 29045 – Spruchkammerverfahren gegen Bruno Böhm
HHStAW 520 / 05 14522 – Spruchkammerverfahren gegen Friedrich Späth
HHStAW 518/ 37663 und 37709
Literatur:
Reuss, J./Hoppe, D. (Hgg): Stolpersteine in Darmstadt. Darmstadt 2013.
Erarbeitet von Cora Geiger
Efraim/ Fritz Schäfer
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